Corona-Pandemie | Corona und die Folgen

Corona und die Folgen

Theresia Bauer, Petra Olschowski

  • Breitenkultur
  • Öffnung
  • Innovationsfonds Kunst
  • Kinder
  • Jugendliche
  • Förderung
  • Publikum

Die partizipative Arbeit in den vier Foren des „Dialogs | Kulturpolitik für die Zukunft“ und an der Filmkonzeption war abgeschlossen, die vorliegende Publikation über den fast zweijährigen Dialogprozess mit den zentralen Textbeiträgen weit fortgeschritten: da erreichte das Coronavirus Sars-CoV-2 Europa! 

Um die Fallzahlen niedrig zu halten und das Gesundheitssystem vor einer Überforderung zu schützen, wurde das öffentliche und kulturelle Leben ab dem 13. März 2020 binnen weniger Tage nahezu komplett eingestellt. Auch in Baden-Württemberg traf es die Kunst- und Kulturinstitutionen sowie die Kulturakteurinnen und -akteure mit voller Wucht. Museen, Theater, Konzerthallen, Literaturhäuser, Clubs, Kinos, kulturelle Zentren und Einrichtungen der Breitenkultur mussten schließen. Der Betrieb wurde zunächst komplett verboten, dann eingeschränkt wieder zugelassen. Auch das Vereinsleben kam zum Stillstand. 

Die Corona-Pandemie machte gemeinschaftliches Proben, Tanzen, Musizieren und Singen ebenso zur Gefahr wie kollektive Kulturerlebnisse und interaktive Kulturformate. Festivals entfielen, manche konnten zumindest digital stattfinden, einige davon mit Erfolg. Freischaffende Kulturakteurinnen und -akteure gerieten durch abgesagte Veranstaltungen, stornierte Projekte und fehlende Honorareinnahmen in eine akute Notlage. Damit stand die Kulturpolitik vor einer doppelten Aufgabe: den Künstlerinnen und Künstlern und freien Kulturschaffenden in dieser existentiellen Krise beizustehen und die reiche kulturelle Landschaft in Baden-Württemberg zu erhalten. Und diese Herausforderung wird sich auch über die kommenden Monate hinweg stellen.

Die Erfahrungen aus dem „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“ haben uns geholfen, schnell und im Gespräch mit vielen Kulturschaffenden erste Maßnahmen zu definieren, die zielgerichtet helfen und sofort umgesetzt werden konnten. 

 

 


Soforthilfe

 

Das wichtigste Instrument, um freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern zu helfen, hat das Land mit der Soforthilfe Corona und im Anschluss daran mit der Überbrückungshilfe geschaffen, die in Baden-Württemberg auch die Lebensunterhaltskosten von Soloselbständigen berücksichtigt.

Notwendige Betriebsverbote und Einschränkungen aufgrund der Pandemie sind für freiberufliche Kulturschaffende, Künstlerinnen und Künstlern existenzbedrohend. Baden-Württemberg reagierte darauf mit einer Anpassung des Soforthilfeprogramms Corona von Bund und Land. Diese Ausgestaltung der Soforthilfe war in Baden-Württemberg bundesweit einmalig und wurde allein aus Landesmitteln finanziert. Freiberufliche Künstlerinnen und Künstler sowie Soloselbständige konnten ab März für drei Monate nicht nur betriebliche Fixkosten, sondern bis zu 1.180 Euro pro Monat als fiktiven Unternehmerlohn geltend machen. Das ersparte vielen einen Antrag auf Grundsicherung. Bis Mitte Mai 2020 sind auf dieser Basis mehr als 75 Millionen Euro allein an Soloselbständige im Kulturbereich ausbezahlt worden. Das Soforthilfeprogramm richtete sich an Soloselbständige, Freischaffende und an Klein- und Kleinstunternehmen auch der Kultur- und Kreativwirtschaft. 

Im Anschluss daran ergänzte das Land die vom Bund im Juni 2020 beschlossene Überbrückungshilfe für die Monate Juni bis August 2020 ebenfalls um einen fiktiven Unternehmerlohn analog zur Soforthilfe -Corona – somit gingen noch mal hohe zweistellige Millionenbeträge des Landes an Künstlerinnen und Künstler aller Sparten und Bereiche. Auch hier finanzierte allein das Land – der Bund hatte Lebenshaltungskosten oder einen Unternehmerlohn bei den förderfähigen Kosten ausdrücklich ausgeschlossen. Die Überbrückungshilfe richtete sich bundesweit an Soloselbstständige, kleine und mittlere Unternehmen, die ihren Betrieb coronabedingt komplett oder größtenteils einstellen mussten. Damit kam sie auch privatwirtschaftlich organisierten Kulturbetrieben zugute.

 

 


Masterplan Kultur BW | Kunst trotz Abstand

 

Mit der Öffnung der Bibliotheken und Archive sowie der Museen, Freilichtmuseen und Ausstellungshäuser wurden in Baden-Württemberg im Mai 2020 erste Schritte der Lockerung unternommen und Erfahrungen im Umgang mit Abstands- und Hygienemaßnahmen im Kulturbereich gesammelt. Ab Juni waren Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen möglich, ab Juli mit bis zu 250 Personen und ab dem 1. August mit maximal 500 Personen. Dabei gilt es stets, die Balance zwischen Gesundheitsschutz und öffentlichem kulturellen Leben auszugestalten. Die Corona-Verordnung unterliegt einer ständigen Überprüfung.

Kulturpolitik bedeutet unter diesen Rahmenbedingungen: Kunst und Kultur trotz strenger Hygiene- und Abstandsregeln, trotz Betriebseinschränkungen und fehlender Einnahmen möglich zu machen. 

Im Mai veröffentlichte das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst den „Masterplan Kultur BW | Kunst trotz Abstand“ mit einem Volumen von mehr als 50 Millionen Euro, zusätzlich zu den Mitteln der Soforthilfe, der die Unterstützung des Landtags von Baden-Württemberg fand. Der Masterplan besteht aus Öffnungsstrategien und einander ergänzenden Förderelementen.

In einem ersten Schritt wurden die Mittel des „Innovationsfonds Kunst“ in das Förderprogramm „Kultur Sommer 2020“ umgewandelt. Mit vier Förderrunden konnten 219 „analoge“ Kulturveranstaltungen und Veranstaltungsreihen im ganzen Land – respektive die auftretenden Künstlerinnen und Künstler – unterstützt und ermöglicht werden. 

Bei allen Förderprogramen haben wir als Nutznießer Kinder und Jugendliche besonders in den Blick genommen, da sie von den Einschränkungen aufgrund der Pandemie stark betroffen sind. Das gilt auch für den Museumsbereich. Mit der Wiederöffnung der -Museen haben wir unseren Landesmuseen und dem ZKM Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe durch finanzielle Unterstützung ermöglicht, Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren den Eintritt zu erlassen.

Aus der vom Landtag bewilligten Corona-Rücklage erhielt das Ministerium Mittel für ein dreiteiliges Corona-Hilfsprogramm für Kunst und Kultur sowie für Soforthilfen für Vereine der Breitenkultur: 

32,5 Millionen Euro stehen 2020 und 2021 als Hilfsfonds zur Verfügung. Kultureinrichtungen können hieraus Unterstützung erhalten, die ihre betrieblichen Ausgaben aufgrund von Einnahmenausfällen nicht mehr selbst tragen können. Erster prominenter Förderfall war die Corona-Nothilfe für die Stadt Baden-Baden, die ihrerseits den kulturellen Betrieb des Festspielhauses weiter ermöglicht.

7,5 Millionen Euro fließen in das Impulsprogramm „Kunst trotz Abstand“ Veranstaltungen und Projekte. Der Fokus liegt auf künstlerischen Konzepten und Angeboten für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen, seien sie analog oder digital. 

In Baden-Württemberg gibt es eine sehr lebendige Vereinskultur mit rund 9.000 Vereinen der Breitenkultur. Um sie zu erhalten und zu unterstützen, setzt das Land 10 Millionen Euro ein. Empfänger sind die in Landesverbänden organisierten Vereine der Amateurmusik, des Amateurtheaters, der Heimatpflege sowie weitere Vereine der Breitenkultur. Für die Amateurmusik wird außerdem die für 2021 geplante Erhöhung der Dirigenten- und Chorleiterpauschale auf 500 Euro vorgezogen. 

Das reiche Vereinsleben im Land ist aufgrund von Corona im Frühjahr 2020 nahezu zum Erliegen gekommen. Gerade bei der Blasmusik und beim Chorgesang müssen aufgrund der Ansteckungsrisiken besondere Hygiene- und Abstandsregeln beachtet werden. Hier berät das Institut für Musikermedizin der Musikhochschule Freiburg mit international anerkannter Kompetenz und enormen Engagement. Das Ministerium hat für die kommenden zwei Jahre am Institut für Musikermedizin eine Stelle eingerichtet, die die Vereine der Amateurmusik im Land bei allen Fragen zur Risikominimierung unterstützt, modellhafte Hygienekonzepte entwickelt und weitere Untersuchungen anstellt.

 

 


Unterstützung für Filmschaffende und Kinos

 

Zusätzlich zu den Hilfsprogrammen von Bund und Land hat die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg für Filmschaffende und Kinos eigene Maßnahmen auf den Weg gebracht. Sie beteiligt sich an dem nationalen Maßnahmenpaket der Bundes- und Länderförderer für Kosten bei Filmproduktionen und Verleihmaßnahmen, die wegen der Corona-Krise abgebrochen oder verschoben werden mussten. Außerdem verzichtet die MFG 2020 auf fällige Darlehensrückzahlungen aus Produktions- und Verleihförderungen. Als erste Hilfsmaßnahme für die Kinos hat die MFG ihre Förderung für gewerbliche Kinos aufgestockt.

 

 


Digitale Kultur

 

Es war sehr deutlich spürbar, wie sehr „analog“ zu erlebende Kulturangebote während der dreimonatigen Schließung der Einrichtungen gefehlt haben – als Ausdruck und Ort der Reflektion und Selbstvergewisserung, der historischen und gesellschaftlichen Verortung, der Kontaktaufnahme, der kreativen Lösungen und auch der Unterhaltung. Während des Lockdowns gab es eine beeindruckende Bandbreite an digitalen Kulturangeboten durch Streaming, Online-Veranstaltungen, digitale Ausstellungsrundgänge, Konzerte, Vorstellungen und so fort. Sie zeigten, wie wichtig der Förderschwerpunkt „Digitale Wege ins Museum“ und die Digitalstrategie des Landes in den vergangenen Jahren waren und wie gut und ideenreich viele Kultureinrichtungen die digitale Technik für die Kunstvermittlung nutzen und dafür, mit Publikum und Öffentlichkeit in Kontakt zu bleiben. Ersetzen können die digitalen Angebote das Live-Erlebnis jedoch nicht.

 

 


Kulturdialog digital

 

Miteinander im Gespräch bleiben – trotz der schwierigen Rahmenbedingungen einer Pandemie, die Fortsetzung des Kulturdialogs unter dramatisch geänderten Vorzeichen: Das ist uns in den vergangenen Monaten sehr wichtig gewesen. Wir haben dafür online öffentliche #CooltourTalks angeboten – Gesprächsformate mit Vertreterinnen und Vertretern der Kulturszene zu verschiedenen Themen, angefangen bei der Wiederöffnung der Museen über die Frage nach der Situation an den Theatern bis hin zu den Herausforderungen, die sich für die freie Szene stellen. Diese Gespräche halfen auch dabei, die Hilfsprogramme passgenau auszugestalten. Dazu kamen zahlreiche nichtöffentliche Web-Formate: Der Austausch mit den verschiedenen Sparten und Einrichtungen, Künstlerinnen und Künstlern war und ist weiterhin ein Kernstück unserer Arbeit. 

Im Gespräch bleiben, das wird auch in den nächsten Monaten unverzichtbar sein. So schwer es für die einen, so bedrohlich es für andere ist: Eine Rückkehr zum Zustand vor der Corona-Krise wird es im Kulturbereich vorläufig nicht geben können. Weiterhin muss der Gesundheitsschutz der Beteiligten und des Publikums höchste Priorität genießen. Das bedeutet, dass Kultureinrichtungen nach wie vor mit Einschränkungen – auch bei der künstlerischen Arbeit selbst –, mit weniger Publikum und geringen Einnahmen rechnen müssen, entsprechend weniger Auftrittsmöglichkeiten haben Künstlerinnen und Künstler aller kreativen Ausdrucksformen. Die Aufgabe der Kulturpolitik in dieser Situation ist es, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung genau zu beobachten, im Dialog zu bleiben und mit Programmen unterstützend zu helfen.

Dabei zeigt sich schon jetzt, dass die Ergebnisse dieses „Dialogs | Kulturpolitik für die Zukunft“ nicht hinfällig sind, sondern uns auch durch die kommende Zeit als Leitfaden dienen können.