Zum Dialog allgemein | Mit Mut in die Zukunft – Verantwortung für das Erbe | Stuttgart

Mit Mut in die Zukunft – Verantwortung für das Erbe

Theresia Bauer MdL

Lässt sich die Publikation über den „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“ und die Filmkonzeption stimmiger einleiten als mit Artikel 5 des Grundgesetzes? Im Absatz 3 heißt es dort: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Ein klares Bekenntnis. Formuliert wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des verbrecherischen NS-Regimes, das jede freie Entfaltung mit aller Gewalt unterband. 

 

Die im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festgeschriebene Freiheit der Kunst ist keine Selbstverständlichkeit. Gegenwärtige Generationen und nachkommende sind aufgefordert, die in der Verfassung verankerte Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre beherzt zu nutzen und sie gegen Angriffe zu verteidigen. Als innovationstreibende Kräfte entscheiden Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre mit darüber, was unsere Gegenwart bestimmt und die Zukunft prägen wird. Zugleich sind sie sensibel reagierende Seismografen für das Erodieren von persönlicher wie gesellschaftlicher Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Das wissen wir nicht nur aus der Geschichte. Das lässt sich gegenwärtig auch in Ländern beobachten, deren Regierungen sich von demokratischen Prinzipien abwenden. Als Neues denkende, offene, oft widerspenstige Geister gehören Künstlerinnen und Künstler zu den ersten, die solche Rückschritte bemerken. Ihre Gestaltungsspielräume werden von autoritären Regimen als erstes beschnitten. Vor allen anderen spüren sie, wenn sich Freiräume verengen. 

 

Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei: Für den vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg unter Federführung von Staatssekretärin Petra Olschowski angestoßenen „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“ hat dieser Gesetzestext zentrale Bedeutung. Artikel 5 des Grundgesetzes steht als Bekenntnis und Verpflichtung in dieser Publikation. Sie dokumentiert den 2018 gestarteten kulturpolitischen Dialogprozess und zeichnet in Texten, Fotos und Grafiken die ergebnisoffene Arbeit in den vier Foren „Digitale Welten“, „Strategien der Transformation“, „Neue gesellschaftliche Bündnisse“ sowie „Kunst und Kultur in ländlichen Räumen“ nach. Diese Schwerpunktthemen wurden spartenübergreifend auf 14 Veranstaltungen diskutiert. An dem dialogisch angelegten Prozess beteiligten sich rund 1.250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Land und darüber hinaus. Mit dabei waren Kulturakteurinnen und -akteure aus Museen, Theatern, soziokulturellen Einrichtungen, Orchestern, Chören, Tanz, Literatur, Bibliotheken, Vereinen, Initiativen, aus der freien Szene und der Breitenkultur, aus Jugendkunst- und Musikschulen, dem Film- und Animationsbereich, aus Hochschulen, der Heimatpflege, Vertreterinnen und Vertreter aus Stiftungen, kommunalen Verwaltungen und der Landespolitik sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger. Vor dem Hintergrund tiefgreifender Umbrüche in der Gesellschaft, die gegenwärtig und auch perspektivisch unseren Gestaltungswillen herausfordern, wurde in großer Runde und in kleinen Arbeitskreisen über die Notwendigkeit von Kunst- und Kulturinstitutionen debattiert. Schließlich liegt viel von der Verantwortung für die Gestaltung unserer Zukunft in den Händen der Kreativen. Das gilt umso mehr, wenn wir unsere Zukunft nicht rein ökonomischen Prinzipien unterwerfen wollen, sondern mit unseren europäischen Werten verbinden, also mit der Idee einer freiheitlichen Gesellschaft aus aufgeklärten und mündigen Menschen. 

 

Die Kunst ist frei. Und fordert jeden Menschen dazu auf, seine Ängste vor dem Unbekannten abzuschütteln, den Horizont zu weiten und nach vorne zu blicken, statt in überholten Konzepten vergeblich nach Halt zu suchen. Wobei künstlerische Perspektiven gerade auch dann beflügeln, wenn sie sich kritisch mit aktuellen Phänomenen auseinandersetzen. Schließlich gehört die Kritik im philosophischen Sinn einer denkenden Vernunft zu den Tugenden der Aufklärung. 

 

So sind Kunst und Kultur wahre Meisterinnen darin, Fragen zu stellen. Zum Beispiel nach Identität, Heimat und Zugehörigkeit. Ihre Antworten liegen oft in einer tiefer gehenden Befragung dieser Begriffe, liefern keine engen Definitionen und fordern von uns als Publikum und Rezipienten die Bereitschaft, immer wieder andere Blickwinkel einzunehmen und den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Im Austausch mit anderen gelingt das am besten. Daher bin ich mir sicher: Der „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“ ist für die Frage, welche Bedeutung und Akzeptanz Kunst und Kultur aus -Baden-Württemberg in der nächsten Dekade haben werden, der richtige Weg.

 

Über den Sinn und die Ziele des „Dialogs | Kulturpolitik für die Zukunft“ geben nachfolgende Beiträge Auskunft. Als Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst eines auch kulturell starken Landes trete ich für eine freiheitliche Gesellschaft ein, die soziale, wirtschaftliche und politische Herausforderungen annimmt, dabei dialogfähig bleibt und für ein respektvolles Miteinander einsteht. Dabei ist mir bewusst, dass wir in einer Zeit leben, in der sicher geglaubte Gewissheiten brüchig werden und Orientierung verloren geht. Vieles ist im Umbruch. Mitten in diesem dynamischen Wandel zwang uns das Coronavirus im März 2020 über Wochen zur Aussetzung des öffentlichen, insbesondere des kulturellen Lebens. Der Lockdown beeinträchtigte die reiche und starke Kunst- und Kulturlandschaft in besonders tückischer Weise. Diese in ihrer ganzen Vielfalt zu erhalten und deren kreatives Potenzial weiter zu fördern, ist erklärtes Ziel des Landes.  

 

Unsere Gesellschaft steht vor großen, drängenden Fragen und Herausforderungen – eine davon ist die Pandemie, deren ökonomische und gesellschaftliche Auswirkungen noch schwer abzusehen sind. Zugleich sind wir mit Veränderungen konfrontiert, deren Rasanz von historischem Ausmaß ist und die nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen. Die Triebkräfte sind bekannt: Digitale Technologien und die damit einhergehende Veränderung der Arbeitswelt, der Kommunikation und des Informationsflusses, Globalisierung und Migration, der Klimawandel und der Umstieg in die Klimaneutralität, das Erstarken populistischer Strömungen, verbunden mit einer zunehmenden Aggression im zwischenmenschlichen Umgang bis hin zu einem Auseinanderdriften der Gesellschaft, sei es in Arm und Reich oder in Stadt- und Landbevölkerung. All das geschieht mitten in Europa. Und wir suchen europäische Antworten hierfür. Gerade, weil Europa mit seiner langen Friedenszeit, seiner die Menschenrechte achtenden Rechtsstaatlichkeit und seinem vergleichsweise stabilen Wirtschaftsraum ein Sehnsuchtsort und -ziel für Menschen geworden ist, die Kriege, Terror und Perspektivlosigkeit hinter sich lassen wollen.

 

Veränderungen können Angst machen. Das ist zunächst einmal ein verständlicher Schutzreflex. Wer Verunsicherungen und Zweifel nicht wahr- und ernstnimmt, verleiht ihnen ungewollt mehr Macht. Deshalb ist es umso wichtiger, miteinander im Gespräch zu bleiben und Ängsten mit gesicherten Fakten zu begegnen. Mit Mut und dem Willen, die Chancen in dem Wandel zu erkennen, eröffnen sich Möglichkeitsräume, die sich aktiv gestalten lassen. Oder wie es der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss in seinem Essay „Futurologie“ formuliert: „Man mag von der Zukunft halten, was man will: eine freiheitliche Gesellschaft glaubt an sie, mit ganzem Herzen.“ Das ist eine zutiefst aufklärerische Haltung. Bärfuss schreibt in diesem Sinn: „Aufklärung nach der berühmten Definition von Immanuel Kant, ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Dieser Ausgang, diese Bewegung, ist die grundsätzliche Methode: Die Zukunft ist offen, die Menschen können gestalten.“

 

Letztlich bestimmt der Mensch, ob etwa die digitalen Technologien mit ihrer Option, Geräte mit Künstlicher Intelligenz (KI) auszustatten und als lernende Systeme zu begreifen, unser aller Leben im Privaten wie Beruflichen positiv oder negativ beeinflussen und wie sie die Gesellschaft einschließlich der Politik verändern. Nicht wenige Kultureinrichtungen stellen sich diesen Aufgaben. Schon heute gelingt ihnen die kreative Präsentation unserer digitalen Gegenwart. Technisch, konzeptionell, strukturell und programmatisch machen sie sich bereit für die nächste Dekade. Ganz in diesem Sinne dient beispielsweise das von der Landesregierung 2017 auf den Weg gebrachte Förderprogramm „Digitale Wege ins Museum“ dazu, die Sammlungen in den Landesmuseen und im ZKM Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, durch digitale Vermittlungsangebote besonders einem jungen Publikum zugänglich zu machen und neue Besucherschichten anzusprechen. Ist es nicht ein zutiefst demokratisches Anliegen, die digitale Technik dazu zu nutzen, Kunst und Kultur allen zur Verfügung zu stellen und Teilhabe zu ermöglichen? Dass digitale Inhalte während des Lockdowns gegen die unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus sogar zum wesentlichen Kulturangebot werden sollten, hätte zuvor wohl kaum jemand für möglich gehalten. 

 

Dass Kultureinrichtungen und -akteure gesellschaftliche Aufgaben für ein demokratisches Miteinander haben und dafür garantierte Freiräume brauchen, steht nicht im Widerspruch zur Freiheit der Kunst. Schließlich ist diese Freiheit Voraussetzung dafür, dass Kunst und Kultur mit ihren Beiträgen ihre gesellschaftlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten erfüllen können – als stabilisierende Bausteine eines diskursiven, respektvollen und toleranten Miteinanders und in welcher selbstbestimmt gewählten Ausdrucksform auch immer. 

 

Gehen wir also mutig ins Offene. Halten wir die Räume weit für ein Denken und Handeln in Freiheit. Das meint, verantwortungsvoll und demokratisch, kooperativ mit solidarischem Interessenausgleich, mit gegenseitigem Respekt und Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen und mit der Bereitschaft, sich auszutauschen, Kompromisse zu schließen, Differenzen auszuhalten und voneinander zu lernen. Hier gilt es, die Interkultur zu stärken und Diversität auch in den Strukturen zu fördern. Setzen wir darauf, unsere Grundwerte auch im digitalen Zeitalter leben zu können und die Aufklärung fortzuschreiben. Als mündige Bürgerinnen und Bürger sollten wir auch in der Lage sein, digital mündig zu handeln. Ich danke Thea Dorn, Markus Gabriel und Bernhard Pörksen, die in ihren Impuls-Beiträgen die Spannungsfelder von Freiheit der Kunst und Demokratie, von Digitalität und Verantwortung beleuchten und diskutieren.

 

Baden-Württemberg ist mit seiner hohen Zahl an Theatern, Orchestern, Museen, Literatureinrichtungen, freien Ensembles, soziokulturellen Zentren, Festivals, Bibliotheken, Archiven, Akademien und Hochschulen kulturell stark aufgestellt. Diese Kultureinrichtungen stehen für Exzellenz, Vielfalt und Breitenkultur gleichermaßen und befinden sich in urbanen Zentren wie auch in ländlichen Gegenden. Neben den bundesweit und international beachteten Staatstheatern, dem Nationaltheater Mannheim, den Landesmuseen, der Akademie Schloss Solitude, dem Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, der Filmakademie Baden-Württemberg sowie den Animations- und Visual Effects-(VFX-)Studios strahlen auch Festivals und musikalische Ensembles weit über ihren Standort und die Region hinaus. Man denke etwa an den Heidelberger Frühling, die Donau-eschinger Musiktage, das Internationale Trickfilm-Festival Stuttgart oder das Freiburger Barockorchester und die Internationale Bachakademie. 

 

Das qualitativ hohe und äußerst vielfältige Kultur-ange-bot im Land wird rege genutzt. Das belegen rund 16 Millionen Museumsbesuche pro Jahr in staatlichen, kommunalen und privaten Häusern, vier Millionen Besuche in öffentlich geförderten Theatern, Orchestervorstellungen und Festivals. Dazu kommen eine Million Menschen, die in Musikvereinen aktiv sind, 330.000 Sängerinnen und Sänger in Chören sowie 12.000 Musikensembles. Viele Tausend Menschen sind in Amateurtheatergruppen, in Trachtenvereinen und in der Heimatpflege engagiert – das zeigt die große Bedeutung der Breitenkultur im Land. Um die Amateurmusik weiter zu stärken, unterstützt das Land zwei zentrale Neubauten für Musikakademien in Plochingen und Staufen und investiert dafür 20,8 Millionen Euro. Als Zeichen der Wertschätzung wurde beschlossen, die pauschale Vergütung für Dirigenten und Dirigentinnen, für Chorleiter und Chorleiterinnen zu erhöhen.

 

Darüber hinaus ist Baden-Württemberg ein erstklassiger Hochschulstandort, den es zu sichern gilt. Acht Kunst- und Musikhochschulen gibt es hier. Kein anderes Bundesland hat so viele Ausbildungsstätten für Kreative. Junge Talente werden dort in Musik, Schauspiel, Tanz, Design, Filmgestaltung, Musikjournalismus und Bildender Kunst ausgebildet. In ihrer Gesamtheit decken die Hochschulen und die drei Akademien Filmakademie, Popakademie und Akademie für Darstellende Kunst das ganze Spektrum der Ausbildungsmöglichkeiten innerhalb der Künste ab. Unter dem Namen „Zukunftskonferenz Musikhochschulen“ haben wir 2014 Maßnahmen diskutiert, übrigens ebenfalls in einem Dialogprozess, um die Musikhochschulen weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse mün--de-ten unter anderem in einem Wettbewerbsverfahren, an dessen Ende fünf Landeszentren ausgezeichnet wurden, die an den jeweiligen Standorten Schwerpunkte in der musikalischen Ausrichtung setzen und innovative Ansätze verfolgen. 

 

Die baden-württembergische Landregierung weiß um die umfassende und weiterwachsende Bedeutung von Kunst und Kultur und unterstreicht diese hohe Wertschätzung mit einem steigenden Kulturetat. Die Gesamtausgaben für Kultur betrugen 2011, meinem ersten Jahr als Ministerin, 385 Millionen Euro. Seitdem ist der Kulturetat kontinuierlich gestiegen. Mit dem Doppelhaushalt 2020/21 seit 2011 um rund 40 Prozent auf 530 Millionen Euro. Wobei die Ausgaben für die Corona-Not-programme hierbei nicht berücksichtigt sind.

 

Die Kernaufgabe der Kulturpolitik ist es, durch eine transparente und verlässliche Förderung sichere Rahmenbedingungen für Kultureinrichtungen, für Künstlerinnen und Künstler und auch für deren kreative Positionen, Experimente und Auseinandersetzungen in und außerhalb der Kultureinrichtungen zu schaffen. Ein erheblicher Anteil der jährlichen Steigerung unserer Kulturausgaben fließt deshalb in die Tariferhöhungen, die das Land in Anerkennung der kreativen Arbeit in den Kunst- und Kultureinrichtungen regelmäßig ausgleicht. Nur so bleiben dort die für die Freiheit der Kunst entscheidenden Spiel- und Entwicklungsräume erhalten. 

 

Seit 2012 gibt es mit dem „Innovationsfonds Kunst“ ein zusätzliches flexibles Förderprogramm, das die Kunstakteurinnen und -akteure bei neuen künstlerischen Fragestellungen unterstützt und ihnen für sämtliche Sparten neue Spielräume eröffnet. Die Akzente liegen dabei auf den Förderlinien: Innovative Kunstprojekte, Kulturelle Bildung, Interkultur sowie Kunst und Kultur für das ganze Land. Der „Innovationsfonds Kunst“ wird ergänzt durch die wichtigen Förderprogramme der Baden-Württemberg--Stiftung, insbesondere die Projektförderungen des Kunst-fonds.

 

Eine Aufgabe der Kulturpolitik des Landes ist es, dafür Sorge zu tragen, dass ein vielseitiges Kulturangebot auch ein die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelndes Publikum hat. Alle Menschen sollen Zugang zu den Kraftquellen Kunst und Kultur haben. Darauf zielen nicht nur die bereits erwähnten „Digitale Wege ins Museum“ mit neuen Vermittlungsformaten, dafür steht eine ganze Reihe von Maßnahmen der Kulturpolitik. Eine von Vielfalt geprägte Gesellschaft sehe ich als Bereicherung und trete ausdrücklich für ein Miteinander auf Augenhöhe ein.

 

Nicht nur im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Unrechts im Nationalsozialismus steht das Land Baden-Württemberg für einen zukunftsorientierten Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Das gilt ausdrücklich auch für das koloniale Erbe. Dass es keinen Schlussstrich unter die lernende Auseinandersetzung mit der NS-Zeit geben kann und darf, hat die Landesregierung durch ihr Engagement für die im Dezember 2018 eröffnete Einrichtung des Lern- und Gedenkorts im ehemaligen Hotel Silber in Stuttgart bekräftigt. Das Land, das Haus der Geschichte Baden--Württemberg und die Stadt Stuttgart arbeiten hier mit engagierten Bürgerinnen und Bürger zusammen, um demokratische Werte und Regeln, Grund- und Menschenrechte sowie die Prinzipien des Rechtsstaats zu vermitteln.

 

Mein erklärtes Anliegen ist es, die Herkunfts- und Erwerbgeschichte von Museumsbeständen zu klären. Deswegen habe ich die systematische Provenienzforschung eingeführt, verbunden mit der Absicht, geraubte Güter an die rechtmäßigen Besitzer beziehungsweise deren Erben zurückzugeben. Mit der Restitution der Witbooi-Bibel und Peitsche im namibischen Gibeon im Februar 2019 geschah das bundesweit erstmals im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialgeschichte. Wie schon bei der Kulturministerkonferenz der Länder im März 2019 in Berlin erklärt, ist diese Restitution für uns kein Schlusskapitel der Aufarbeitung, sondern der Auftakt für eine Gesamtstrategie zum kolonialen Erbe. So ist es mir ein großes Anliegen, die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte von Objekten aus kolonialem Kontext in den Beständen der Landesmuseen zu untersuchen und auch kommunale wie private Sammlungen dahingehend zu unterstützen. Diese gemeinsam mit den Herkunftsgesellschaften erarbeiteten Forschungsergebnisse stellen wir online und machen sie damit international zugänglich. Es ist eine intensive kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Land Baden-Württemberg und Namibia entstanden, die ihresgleichen sucht und mit weiteren Kooperationspartnern ausgebaut werden soll. Das lange eurozentrierte Geschichtsbild wird durch die namibische Perspektive nicht nur korrigiert und vervollständigt, zwischen Museen, Hochschulen, Studierenden und Kunstakteurinnen und -akteuren werden auch neue Kooperationen möglich.

 

Der Blick auf die Vergangenheit und die Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe sind dem Land Baden-Württemberg wichtig, das unterstreicht eindrucksvoll die Keltenkonzeption. Zum kulturellen Erbe Baden-Württembergs gehören aber auch die Kulturbauten. Im angestrebten Neubau des Linden-Museums, verbunden mit einer Neukonzeption hin zu einem ethnologischen Museum der Zukunft, soll dieser erweiterte Blickwinkel perspektivisch Raum erhalten. Das neue Linden-Museum soll noch stärker ein Ort des Dialogs über historische und zeitgemäße Konzepte von Kultur, Identität und Differenz werden und gehört an einen Standort im Herzen der Landeshauptstadt. Es ist eine ureigene, aber zu lange nachrangig behandelte Aufgabe der Kulturpolitik, tradierte Kulturorte lebendig zu halten und für die Zukunft auszurichten. Die auch aus arbeitsrechtlichen und brandschutztechnischen Gründen notwendige Sanierung des Opernhauses der Württembergischen Staatstheater, verbunden mit einer Erweiterung, zählt zu diesen komplexen Herausforderungen. Ebenso die beschlossene Erneuerung des Badischen Staatstheaters Karlsruhe und die Generalsanierung des Nationaltheaters Mannheim, an dessen Kosten sich das Land beteiligt. Die baden-württembergische Landesregierung stellt sich diesen Aufgaben in dem Bewusstsein, der Kunst und Kultur ein angemessenes Zuhause zu geben. Für ihre inhaltliche Arbeit brauchen Kulturorte Räumlichkeiten, die stärker als bislang dem gesellschaftlichen Austausch und der Begegnung dienen und sich für ein neues und jüngeres Publikum öffnen. WLAN im Foyer ist da nur eine Maßnahme von vielen. Umfassende Renovierungen und Erweiterungsbauten stehen auch für die Kunsthalle Karlsruhe, das Badische Landesmuseum im Schloss Karlsruhe und für die Württembergische Landesbibliothek an, deren Neubau bereits die Stuttgarter Kulturmeile an der Konrad-Adenauer-Straße bereichert. Mit dem Neubau der John Cranko Schule samt maßstabsgerechter Probebühne für das Stuttgarter Ballett hat das Land im Schulterschluss mit der Stadt Stuttgart soeben ein weiteres Bauprojekt beendet. Perspektivisch warten zudem Depots der staatlichen Museen und Archive auf ihre Ertüchtigung. So soll das Deutsche Literaturarchiv in Marbach aus Mitteln des Bundes und des Landes einen Neubau für ein offenes digitales Forschungslabor erhalten. Energetische Sanierungen und Modernisierungen stehen bei allen staatlichen Gebäuden im Kulturbereich auf der Tagesordnung. Weitere große Bau- und Sanierungsvorhaben sind beschlossen – die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart soll am Hauptstandort zusammengeführt und erweitert werden. Die Neueinrichtung von Schloss Rosenstein ist angelaufen, auch beim Naturkundemuseum Stuttgart gibt es Erweiterungsbedarf.

 

Die energetische Sanierung ist nur eine Maßnahme beim notwendigen Umstieg hin zur Klimaneutralität. Nachhaltiges und ressourcenschonendes Arbeiten wird auch für die Kreativbranche zukunftsweisend sein. Hier geht es zum einen um die Nutzung von Green--IT, um Sharing-Konzepte bei technischem Equipment, nachgenutzte Möblierung und Räumlichkeiten. Zum anderen um ein für Umwelt und Mensch verträgliches Raumklima, um energiesparende Beleuchtungskonzepte oder um Bestrebungen, bei Filmproduktionen oder der Organisation von Festivals deutlich stärker auf Nachhaltigkeit zu achten. Jede Institution, jede Einrichtung, jede Akteurin und jeder Künstler sind gefragt, die interne wie externe Kommunikation, Einkäufe und Abläufe, Strategien für Mobilität bis hin zur Müllentsorgung und vieles mehr klimafreundlich zu gestalten. Umweltzertifizierte Museen sind bereits auf einem guten Weg. Die anderen Kultureinrichtungen brauchen nicht nur zusätzliche Kompetenzen und passende Leitlinien, sondern auch Anreize durch entsprechende Förderrichtlinien. 

 

Die Kulturpolitik in Baden-Württemberg steht vor großen Aufgaben und ist schon dabei, diese mit Blick auf die nächste Dekade anzugehen. Im „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“ haben wir mit den thematischen Foren die zentralen Herausforderungen benannt: „Digitale Welten“, „Strategien der Transformation“, „Neue gesellschaftliche Bündnisse“ sowie „Kunst und Kultur in ländlichen Räumen“. Das geschieht im Austausch mit den Kulturakteurinnen und -akteuren in den verschiedenen Einrichtungen, mit neuen Allianzen und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft. So wie keine Gruppe von dem gesellschaftlichen Wandel ausgenommen ist, so befindet sich eine jede in einem Transformationsprozess. Neben dem digitalen Wandel geht es dabei ganz wesentlich um strukturelle Veränderungen, die sich darauf auswirken, ob Kunst und Kultur auch in Zukunft relevant sind und Teilhabe für möglichst alle Menschen gewährleistet ist. Welche Maßnahmen dafür notwendig sind, haben 1.250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“ spartenübergreifend und breit diskutiert. Ich bin gespannt, wie sich dieser partizipative Prozess mit den erarbeiteten inhaltlichen Impulsen fortsetzt. 

 

Wie beendet Lukas Bärfuss seinen schon erwähnten „Futurologie“-Essay so treffend? „Wem etwas an der Aufklärung liegt, muss rausgehen und den Leuten erklären, dass es eine Zukunft gibt.“ Wer könnte das freier, undogmatischer, vielgestaltiger und besser als diejenigen, die für die Kunst und Kultur dieses Landes sorgen. Mit ihrem Mut zur Komplexität, mit ihrer Lust am Diskurs, mit ihrer Weltoffenheit und Bereitschaft zu experimentieren und stets dazuzulernen, mit ihrem Mut, neue Wege zu beschreiten. Genau das taten sehr viele Vertreterinnen und Vertreter aus Kunst und Kultur beim „Dialog | Kulturpolitik für die Zukunft“.