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Blick nach vorn – 13 Thesen

Petra Olschowski

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Die Arbeit an dieser Abschlusspublikation unseres -Dialogprozesses stand unter ganz anderen Vorzeichen, als wir es erwartet haben. Die Folgen der Corona-Pandemie, inmitten derer wir stecken, verändern unseren Blick auf die Welt und prägen auch die Bewertung dieses Prozesses und seiner Ergebnisse. Noch wissen wir nicht, wie lang die Pandemie andauern und welche Konsequenzen sie mit sich bringen wird. Aber wir merken, dass sie uns verändert. Immer wieder liest man, dass es nach dieser Zeit keine Rückkehr zum Davor geben kann. Aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht, ob das wirklich stimmt – werden wir nicht doch sehr schnell vergessen? Überhaupt: Was könnte es bedeuten, danach ganz neu anzufangen? Geht das? Und wäre es tatsächlich sinnvoll?

Keine Frage: Das Virus hat uns überrascht und beherrscht im Moment unser Denken und Handeln. Was nicht bedeutet, dass von dem, was wir vor dem März 2020 gedacht und getan haben, nichts mehr gültig ist. Das hat sich in den vielen Gesprächen gezeigt, die ich zwischen März und Juli online mit Kulturschaffenden geführt habe, aber auch in einem Abschlusstreffen mit den Forenleiterin und den Forenleitern am 6. Juli 2020. Ganz im Gegenteil! Viel ist derzeit von der Brennglaswirkung die Rede, die die Pandemie mit sich bringt, weil sie schnelle Entscheidungen und Priorisierungen erfordert und Problemstellungen sichtbar macht, dabei schwierige Konstellationen tatsächlich „erhitzt“ und zuspitzt. Das gilt gesamtgesellschaftlich. Und es gilt auch für Kunst und Kultur. 

Eine der Fragen, die unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die Diskussion zur Kulturpolitik beherrscht hat, war die nach der Systemrelevanz der Kunst. Ich bin nicht sicher, ob der Begriff tatsächlich passend ist. Kunst sollte oft eher systemkritisch, systemsprengend, außerhalb aller Systeme sein als systemrelevant. Was Kunst aber ohne Zweifel ist: Sie ist relevant für unser Leben. Wie hat sie uns über Monate hinweg gefehlt? Und wo würden wir ohne sie heute stehen? Wie dringend brauchen wir jetzt ihre Kraft zur Erneuerung, ihre Möglichkeit zur Selbstreflektion, die Chance, durch sie „Freiheit als eine Form von Leben“ (Kurt Leonhard) einüben zu können! 

Liest man die Texte in diesem Buch und überdenkt die Handlungsempfehlungen aus den Foren, dann zeigt sich, dass die Ergebnisse unseres Dialogprozesses in der aktuellen Krise bestätigt und nicht etwa obsolet werden. Die Intensität, mit der die Diskussionen, Workshops und Debatten geführt worden sind, bewährt sich. Die Handlungsempfehlungen stehen für sich – als ein Plädoyer der Kulturszene dieses Landes für eine Kulturpolitik der Zukunft. Als Leitfaden sind sie für all jene, die in den kommenden Jahren in der politischen Verantwortung sind, von enormer Bedeutung.

Ich bin dankbar, dass ich bei fast allen Veranstaltungen des Kulturdialogs dabei sein konnte. Ich habe viel gelernt und Neues erfahren. Einige wichtige Impulse, die in den Foren zur Sprache kamen, konnten wir schon im Verlauf des Dialogprozesses aufgreifen und bereits realisieren. Dafür danke ich auch den Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg – insbesondere den kulturpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen –, die viele unserer Vorschläge bei den Haushaltsberatungen unterstützt haben. Dazu gehört unter anderem: die Gründung des Kompetenzzentrums Kulturelle Bildung und Vermittlung Baden-Württemberg, die – coronabedingt etwas später als geplant – für Ende 2020 / Anfang 2021 vorgesehen ist; die dauerhafte Verankerung von Digitalkuratorinnen und -kuratoren an den Landesmuseen; die Stärkung der Kultur in den ländlichen Räumen durch die Etablierung von Regionalmanagerinnen und -managern Kultur sowie durch das Förderprogramm „FreiRäume“, das neue Orte für Kunst und Kultur schafft. Erste mehrjährige (Konzeptions- und Entwicklungs-)Förderungen im Bereich Tanz und Theater konnten mit Mitteln des Innovationsfonds Kunst realisiert werden. Dies sind erste Schritte, mit denen wir neue Schwerpunkte setzen und den Zukunftsprozess bereits in Gang gebracht haben. Und doch bleiben noch Aufgaben offen. 

In diesem letzten Kapitel der Publikation möchte ich meinen Blick auf den Prozess und seine Ergebnisse hinzufügen und 13 Thesen nennen, die aus meiner Sicht – auch nach den Erfahrungen der vergangenen Monate – für die Kulturpolitik die Kernthemen der nächsten Jahre darstellen und schnell angegangen werden sollten. All dies stark zusammengefasst, als Momentaufnahme und immer unter Wahrung der Kunstfreiheit, da die Kulturpolitik gut daran tut, das Was und das Wie der künstlerischen Inhalte und Erscheinungsformen gänzlich den Künstlerinnen und Künstlern zu überlassen. Mein Resümee bezieht sich dabei immer – wenn nicht anders vermerkt – auf alle künstlerischen Sparten und alle Typen von Institutionen und Initiativen im ganzen Land, sie richten sich sowohl an die Kulturpolitik, die Kultureinrichtungen, die Künstlerinnen und Künstler als auch an die Verwaltung und die Reihenfolge ist (beinahe) beliebig:

 

 

 


1. Die soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern muss verbessert werden

 

Wenn durch die Corona-Pandemie etwas deutlich geworden ist, dann ist es die prekäre Situation, in der sehr viele Künstlerinnen und Künstler, sehr viele Kulturschaffende leben und arbeiten. Corona hat gezeigt, „wie dünn das Eis der ökonomischen Absicherung“ ist, wie Olaf Zimmermann in seiner Einleitung zur aktuellen Studie des Deutschen Kulturrats schreibt.1 Das Thema ist umfassend und nicht kurzfristig zu bewältigen, daher hier nur folgende Stichworte: Mindestlohn muss selbstverständlich auch im Kulturbereich gelten; tarifvertragliche Bezahlung soll der Standard sein, an dem wir uns ausrichten; gleiches gilt für angemessene Vergütung freiberuflicher Leistungen, und zwar auch in Sparten, die bisher keine Honorare vorsehen (z. B. Ausstellungen); Verträge sollten gendergerecht, sozial nachhaltig und im Sinne von „Guter Arbeit“ ausgehandelt werden; das Alterssicherungssystem für Künstlerinnen und Künstler und die Rolle der Künstlersozialkasse müssen überprüft werden, ebenso die Situation der zunehmenden Zahl von Soloselbständigen. Für Baden-Württemberg kann ich in einem ersten Schritt bereits zusagen, dass wir die Höhe von Stipendien und Preisen überprüfen und in den Projektförderprogrammen in Zukunft die Honorierung der beteiligten Künstlerinnen, Künstler und freiberuflichen Kulturschaffenden besonders in den Blick nehmen. Schon bei der Ausgestaltung der Corona-Hilfsprogramme haben wir hier wichtige Schritte unternommen.

 

 


2. Die Organisationsentwicklung von Kultureinrichtungen auf allen Ebenen begleiten und unterstützen

 

Gerade in den vergangenen Monaten haben wir gesehen, dass die Erwartungen und Ansprüche, die die Gesellschaft, das Publikum, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Politik an Kultureinrichtungen stellen, immer differenzierter und größer werden. Rasche Veränderungen, wie sie unsere Welt prägen, auch – aber nicht nur – die Herausforderungen der Digitalität, führen zum Teil zu großen Spannungen innerhalb der Institutionen. Begreifen wir – wie es in den Handlungsempfehlungen des „Forums: Strategien der Transformation“ heißt – Kunst- und Kultureinrichtungen als „lernende Organisationen“, müssen wir den Raum dafür schaffen, dass dieses „Lernen“ auf allen Ebenen tatsächlich möglich wird. Das gilt auch für die Führungsebenen, die diese Prozesse lenken, leiten und vermitteln. Interne und externe Öffnung und Vermittlung, neben der Beteiligung des Publikums auch die der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Agilität von Methoden und Strukturen sind Handlungsfelder für die Transformation der Institutionen. Für die kommenden Jahre brauchen wir beratende Formate für die Organisationsentwicklung, die für alle Bereiche unserer Einrichtungen zugänglich gemacht werden. 

 

 


3. Kulturelle Teilhabe als Zugang für alle zur ästhetischen Bildung ermöglichen 

 

Und das gilt unabhängig von der ethnischen Herkunft, der sozialen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Identität. Wenn wir von der Öffnung von Kultureinrichtungen sprechen, meinen wir nicht nur die Publikumsstrukturen und das Programm, sondern auch die internen Strukturen.

Das bedeutet: 

 

 


3a. Diversität, Gender-Gerechtigkeit, jüngere Perspektiven im Team stärken

 

Das betrifft alle Bereiche unserer Institutionen, insbesondere die Führungsebene, gilt aber auch für die Besetzung von Gremien und Jurys. Wir sind davon in vielen Bereichen noch weit entfernt. Daher kann es für eine Übergangszeit sinnvoll sein, eine Vergabe von Fördermitteln an Institutionen auch an konkrete Konzepte zur Weiterentwicklung der Einrichtung im Sinne von Diversität und Gender-Gerechtigkeit zu knüpfen. Diversitätsbeauftragte können dabei helfen. Das Qualifizierungsprogramm des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst für Kultureinrichtungen und Kommunen zur interkulturellen Öffnung und diversitätsbewussten Entwicklung ist dabei ein wichtiger Baustein.

 

 


3b. Diversität und Teilhabe beim Publikum stärken

 

Kulturpolitik muss auf Teilhabe zielen. Mehr noch als bisher sollten alle Gruppen der Gesellschaft von kulturellen und künstlerischen Angeboten angesprochen und Zugänge ermöglicht werden. Kulturpolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik. Migration und Interkultur müssen als Normalität anerkannt werden. Wie stark sich Menschen von Alltagsrassismus getroffen fühlen, haben wir in den vergangenen Monaten deutlich erfahren. Die Stärkung von Demokratie, der Kampf gegen Rassismus und Populismus, sind kulturpolitische Aufgaben. Ohne Zweifel kommt der kulturellen und interkulturellen Vermittlung und Bildung hier eine zentrale Rolle zu. In den Institutionen muss die kulturelle Bildung als Querschnittsthema behandelt und verankert werden, um die gesellschaftliche Vielstimmigkeit in Programm und Publikum besser abzubilden und mehr Menschen zu erreichen. Mit dem Kompetenzzentrum Kulturelle Bildung und Vermittlung werden wir in den kommenden Monaten einen wichtigen Schritt machen, um diesen Bereich spartenübergreifend deutlich und nachhaltig zu stärken. Es soll die zentrale Einrichtung für Beratungs- und Qualifizierungsleistungen sowie Vernetzung im gesamten Themenspektrum der kulturellen Teilhabe und Bildung für Kunst- und Kulturakteure im Land werden. Die Aufgabe bleibt drängend und wichtig – und sie ist nicht denkbar, ohne die Schulen, aber auch die Musikschulen und Jugendkunstschulen sowie alle weiteren außerschulischen Organisationen stärker einzubeziehen. Wir müssen daher die Kooperation zwischen den Ministerien in diesem Bereich deutlich stärken.

Wie wichtig es ist, die Entwicklungen auf diesem Feld auch wissenschaftlich zu begleiten, zeigt die Studie zum freien Eintritt in die Dauerausstellung unserer Landesmuseen, die wir parallel zum Dialogprozess in Auftrag gegeben haben. Die Ergebnisse machen deutlich, dass es auch hier keine einfachen Antworten gibt: Freier Eintritt allein ist kein Instrument, um neue Publikumsgruppen zu gewinnen. Von zentraler Bedeutung sind vielmehr attraktive Vermittlungsangebote. Im Bereich von Kindern und Jugendlichen kann freier Eintritt in Dauerausstellungen allerdings wirkungsvoll sein, um vor allem andere Altersgruppen anzusprechen. Daher ermöglichen wir unseren Landesmuseen von 2020 an den freien Eintritt für Kinder und Jugendliche in die Sammlungspräsentationen. Mitte/Ende 2021 sollen die Ergebnisse evaluiert werden.2 

 

 


4. Den intensiven Prozess der Digitalisierung, den wir in den Museen begonnen haben, 2021 für andere Sparten fortsetzen

 

Digitalität ist selbstverständlicher Teil von Kunst und Kultur. Mit „Digitale Wege ins Museum“ konnten wir von 2017 an unsere Museen bei der digitalen Transformation deutlich voranbringen. Dabei hat sich gezeigt, dass es nicht immer nur um finanzielle Förderung geht, sondern auch um eine intensive beratende Begleitung durch Netzwerke, Coachings, intensiver Austausch, in diesem Fall organisiert und betreut durch die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg. Am Ende stehen nun 20 neue Stellen im Bereich Digitalisierung allein für unsere staatlichen Museen. Bibliotheken und Archive sind ebenfalls gut auf dem Weg. Der digitale Wandel verlangt eine ganzheitliche Strategie in den Kultureinrichtungen – aller Sparten. 

 

 


5. Kulturförderpolitik muss in den ländlichen Räumen anders aussehen als in den städtischen Zentren

 

Kunst und Kultur in den ländlichen Räumen Baden-Württembergs sind stark und vielgestaltig. Kulturpolitik muss diese ländlichen Räume im Blick haben. Gute Kulturangebote brauchen attraktive Veranstaltungsorte für Kunst und Publikum, auch durch die Wiederbelebung leerstehender Gebäude und Ortsmitten, wie wir sie mit dem Programm „FreiRäume“ fördern. Vor allem regionale und spartenübergreifende Netzwerke, professionell organisiert, können Kulturarbeit dort vorantreiben und weiterentwickeln. Das gilt auch, aber nicht nur für die Breitenkultur. Dafür sind spezielle Förderinstrumente des Landes notwendig, in Partnerschaft mit den Landkreisen, Städten und Gemeinden. Sie können von den Erfahrungen mit Programmen wie „Trafo – Modelle für Kultur im Wandel“ der Kulturstiftung des Bundes oder dem „Innovationsfonds Kunst und Kultur im ganzen Land“ profitieren. 

Gleichzeitig stärken wir Spitzenkultur mit internationaler Strahlkraft weiter. Davon profitiert das ganze Land – auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Und auch das Kulturangebot in den größeren städtischen Zentren sollte in seiner Differenziertheit und Innovationskraft nicht aus dem Blick geraten. Die Partnerschaft zwischen kommunaler Förderung und Landesförderung hat sich vielerorts bewährt und sollte weiterentwickelt werden.

 

 


6. Wir brauchen mehr und besseren Raum für Kunst und Kultur

 

Bauen, sanieren, neu und anders nutzen – das sind die zentralen Stichworte. Es wird eine enorme, aber unumgängliche Herausforderung der kommenden Jahre sein, die Räume zu schaffen, die Kultur braucht. Das gilt zum Beispiel für die Umbaumaßnahmen und die Erweiterung von Landesliegenschaften wie des Kunstgebäudes in Stuttgart, der Dürnitz im Landesmuseum Württemberg, der Württembergischen Landesbibliothek, des Badischen Staatstheaters und der Kunsthalle Karlsruhe oder für die Neubauten der Musikakademien in Plochingen und Staufen, die bereits begonnen wurden. Es ist auch gültig für die Württembergischen Staatstheater, das Linden-Museum, das Naturkundemuseum Stuttgart, das Deutsche Literaturarchiv Marbach und das Badische Landesmuseum – Projekte, die auf der Liste der Sanierungs- und Neubauvorhaben für das Land ganz oben stehen. Gleichzeitig gilt es, neue Orte für die Kunst zu definieren – im Sinn der viel debattierten Dritten Räume, die wir als Gesellschaft brauchen. Bei allen inhaltlichen Debatten – ohne Räume kann Kultur, kann Kunst nicht stattfinden. Daher muss dieser Kraftakt auch in Richtung Zukunft gelingen.

 

 


7. Das kulturelle Erbe stärken bedeutet, nicht nur in die Vergangenheit zu blicken, sondern auch gemeinsam Zukunft zu gestalten, und zwar europaweit und international

 

Eines der unvergesslichen Momente dieser Legislaturperiode war die Rückgabe der Bibel und Peitsche von Hendrik Witbooi an Namibia. Die Aufarbeitung unserer kolonialen Geschichte und Verantwortung in einem engen Schulterschluss durch Museen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Initiativen in beiden Ländern bleibt eine der wichtigsten Aufgaben. Und es zeigt sich, dass durch die von uns angestoßene Namibia-Initiative Türen geöffnet werden, die neue, produktive Kooperationen möglich machen – international, aber auch vor Ort. 

In anderer Weise lässt sich dies auch für die Keltenkonzeption sagen, die das bedeutende archäologische Erbe im Land mit Verweis auch auf europäische Fundstätten für mehr Menschen sichtbar und erlebbar macht. Kaum ein Thema hat in den vergangenen Jahren so viel Freude gemacht und wird uns in den kommenden Jahren noch weiter fordern. Zeitgenössische Kunst ermöglichen und kulturelles Erbe bewahren – dieser Spagat muss weiter auf höchstem Niveau gelingen.

 

 


8. Neben der verlässlichen institutionellen Förderung und der Projektförderung gewinnt die mehrjährige Entwicklungsförderung an Bedeutung

 

Eine der wichtigsten Aufgaben in der Kulturpolitik ist die Absicherung des Bewährten und die Ermöglichung von Neuem. Durch die bekannten Fördermodelle ist dies oft nicht möglich, weil ein Großteil der Mittel gebunden ist oder Mittel nur für kurzfristige Projekte zur Verfügung gestellt werden können. Dazwischen sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass das Land neue, besonders interessante Initiativen über mehrere Jahre hinweg durch sichere Absprachen und Partnerschaften mit den Kommunen oder anderen Geldgeber unterstützt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln. Danach kann entschieden werden, welche langfristigen Fördermöglichkeiten gegeben sind. Dafür sollten zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

 

 


9. Bürgerschaftliches Engagement ist von enormer Bedeutung für die Kultur 

 

Partizipationsformate werden für die gesamte Kulturszene immer wichtiger. Partnerschaften zwischen Kultureinrichtungen, Vereinen, interessierten Laien, engagierten Jugendgruppen und anderes mehr müssen in Zukunft noch stärker ideell und gegebenenfalls auch finanziell unterstützt werden – unter anderem durch Qualifizierungsangebote. Bürgerschaftliches Engagement in Freundes- und Förderkreisen und in der Breitenkultur sollte zeitgemäß überdacht werden. 

 

 


10. Die Nachhaltigkeit im Kulturbereich in den Blick nehmen 

 

Mit dem neuen Klimaschutzgesetz hat das Land erstmals verbindliche Klimaschutzziele für das Land 2030 festgelegt. Der Anspruch, der damit formuliert wird, wirkt in alle Bereiche unseres Lebens. Die Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit ist eine der größten Herausforderungen, vor der unsere Gesellschaft steht. Der Kulturbereich ist hiervor nicht ausgenommen. Jede Landeseinrichtung muss in Zukunft ein Nachhaltigkeitskonzept Klima, Umwelt und soziale Strukturen erarbeiten. Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit sind Aspekte, die bei der Kulturförderung des Landes stärker berücksichtigt werden sollten. Hierfür sind neue Überlegungen und Strategien notwendig, die baldmöglichst festgelegt werden sollen.

 

 


11. Die Kulturszene muss sich in andere Bereiche öffnen und neue Partnerschaften eingehen, wenn sie innovativ bleiben will 

 

Wichtig ist vor diesem Hintergrund vor allem die -Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung – Beispiele sind der Bereich Künstliche Intelligenz, aber auch soziologische Themen. Dabei geht es nicht nur um kreative Prozesse, die beide Felder verbindet. Kultur kann den Diskursraum öffnen, in dem Fragen der Ethik und der Verantwortung verhandelt werden. In einem Ministerium, das für Wissenschaft, Forschung und Kunst steht, können hier in Zukunft noch stärkere Verbindungen geknüpft und in Reallaboren ausprobiert werden. 

Neue Partnerschaften einzugehen und dadurch einen Mehrwert, sei es künstlerischer oder gesellschaftlicher Art zu erzeugen, ist für alle Akteure des kulturellen Lebens von Bedeutung. Das gilt auch für den Medien- und Filmbereich, der wesentlicher Teil unseres kulturellen Lebens ist. In der Kreativwirtschaft verbindet sich Kunst mit Wirtschaft auf produktive und innovative Art und Weise. Die Erfolge der Animationsszene in Baden-Württemberg könnten in diesem Sinn mehr noch als bisher auch in den Kunstbereich hineinwirken – und umgekehrt. Neue Förderprogramme sollten die Grenzüberschreitungen zwischen den Sparten und Welten stärken – vor dem Hintergrund der Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre.

 

 


12. Kunstfreiheit ergibt sich nicht von selbst, sondern muss immer wieder aufs Neue uneingeschränkt verteidigt werden

 

Die kulturpolitischen Kontroversen der vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass die im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit von Kunst keine Selbstverständlichkeit ist. Es ist unsere Aufgabe, weiterhin ein politisches und gesellschaftliches Umfeld für Kunst zu schaffen, das Kunst nicht in den Dienst nimmt für Interessen von Ausgrenzung und Nationalismus.

 

 


13. Das dialogische Prinzip ist Grundlage für die Kulturpolitik und muss fortgesetzt werden 

 

So lautet eine der Hauptforderungen, die in allen Foren gleichermaßen gestellt worden ist. Dabei müssen noch mehr Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel Jugendliche, Studierende und Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen beteiligt werden. Teilweise wird der spartenbezogene Blick in der nächsten Zeit wieder eine wichtigere Rolle spielen – wir sehen dies beispielsweise bei der bundesweiten Strukturdiskussion der Theater –, aber auch die Evaluation der in diesem Buch beschriebenen Prozesse und Themen kann nur im dialogischen Verfahren erfolgen. 

So liegt es jetzt an uns, die Verantwortung anzu-nehmen und die in dieser Publikation gemachten Vorschläge von rund 1.250 Beteiligten aus der Kulturszene des Landes ernst zu nehmen. Sie sind Herz und Kopf dieses Kulturdialogs.3

 

September 2020


[1] Schulz, Gabriele/Zimmermann, Olaf: Frauen Männer im Kulturmarkt – Bericht zur wirtschaftlichen sozialen Lage, Berlin 2020, S. 9.


[2] Wegner, Nora/ Schößler, Tom: des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen ZKM Zentrum für Kunst Medien Karlsruhe. Im Auftrag des ­Ministeriums für Wissenschaft, Forschung Kunst Baden-Württemberg. Ergebnisbericht, Juni 2019.


[3] Daher sind alle Impulsvorträge, Veranstaltungsprotokolle Materialien aus dem Dialogprozess auf unserer Homepage gesichert: https://dialog-kulturpolitik-fuer-die-zukunft.landbw.de